Näh mir mal was Schönes!
Ein kleiner Vorgeschmack auf die Ausbildung als Maßschneider/in für Damenmode
von Teresa Koch
Du willst das Nähen von Kleidung lernen? Oder hast du dich bereits bei uns beworben? Wenn ja, wird die oben genannte Aussage wohl zu einer neuen Begleiterscheinung deiner bevorstehenden drei Jahre werden.
Doch hinter dem höflich versteckten Appell, der vermutlich überwiegend von deinen Freunden kommen wird, steckt völlige Ahnungslosigkeit. Ich befand mich seit gerade mal ein paar Monaten in meiner Ausbildung als Maßschneiderin, als mich eine Freundin fragte, ob es möglich sei, ihr ein exklusives Abendkleid für ihren Abiball zu nähen. - Alles was ich bis zu diesem Zeitpunkt beherrschte, befand sich in Form von Stoffproben in meinem Motivordner, abgeheftet in Klarsichtfolien. Ich kann dir versprechen, je länger du dich in dieser Ausbildung befinden wirst, desto abenteuerlicher werden die Fragen & Bitten von Bekannten, die auf dich warten. - Keep calm! Für all diejenigen, die Lust haben, ein paar Schritte auf meinen Weg in die Maßschneiderei nachzuvollziehen, habe ich ein kleines Blog-Diary für Euch:
9. September 2014
In einem kleinen Nebengebäude der Dresdener Str. 18 in Kirchhain hallte das Geräusch von heruntergehobenen Drehstühlen aus den Fenstern. Meine Schritte beschleunigten sich, als ich durch die Fenster des ebenerdigen Raumes sah und feststellte, wie ein Großteil meiner neuen Klassenkameradinnen bereits dabei war, sich zu setzen. In der Nähwerkstatt angekommen, stellte ich mit Bedauern fest, dass die besten Plätze bereits vergeben waren. Das altbekannte Sprichwort „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“ bewahrheitete sich bei mir. Meine Wahl beschränkte sich schließlich auf einen Platz mit einer Haushaltsnähmaschine unmittelbar vor dem Lehrerpult und einem Platz in der letzten Reihe, mit einer Pfaff-Maschine aus dem wohlmöglich letzten Jahrhundert. Ich entschied mich schließlich für Variante 2 und verbrachte den Rest meines Tages damit, mich mit meinem neuen besten Freund vertraut zu machen und mit ihm auf Pappen, vorgegebene Muster mit der Nadel nachzustechen.
Als mir damals bewusst wurde, dass ich auf eine kaufmännische Ausbildung wenig Lust hatte, entschied ich mich, vorläufig einen kreativeren Weg einzuschlagen. Doch bereits zu Beginn des 2. Halbjahres kam ich das erste Mal ins Zweifeln, ob diese Entscheidung die Richtige war. Nach einem halben Jahr und einem dicken Ordner voller Nähproben von Steppübungen, Kantenverarbeitungen, Handnähen, Säumen und Reißverschlusseinarbeitungen hätte ich das Nähen am liebsten wieder sein gelassen. Geduld und Feinmotorik sind zwei wesentliche Eigenschaften, die eine Maßschneiderin besitzen sollte und die ich nicht besaß. Bei einer Achterbahn-Handschrift, die maximal drei bis vier Wörter pro Zeile einnimmt und für andere Leute nur lesbar ist, wenn ich mit einem altbewährten Füller schreibe, hätte mir das vielleicht vorher klar sein sollen…
Die Zweifel verschwanden jedoch wieder, als die ersten Röcke für die Modenschau entstanden. Es ist ein schönes Gefühl, sich das erste Mal mit einem selbstgenähten Teil im Spiegel zu sehen. Mein erster Rock hat noch heute einen Sonderplatz in meinem Schrank! Danach wurde mir schnell klar, dass dies ohne die viele Vorarbeit in meinen Mappen, nicht möglich gewesen wäre.
21.Juni 2016
Die Zwischenprüfung stand vor unserer Tür. Zu fertigen war eine Hose nach eigenem Design mit Innenfutter-und Taschenverarbeitung. Das Ganze selbstverständlich nach handwerklichen Kriterien gefertigt. Um 8:15 Uhr bekamen wir das Startsignal und nähten bis in den frühen Abendstunden. Um 17 Uhr war die Abgabe fällig. Egal, ob das zu fertigende Stück nun ungebügelt war oder ein Schneiderknopfloch aussah wie eine überwucherte Dixie-Klobrille.
Passgenauigkeit – Das A und O der Maßschneiderei und der Grund, weshalb bereits im ersten Lehrjahr das Fach Schnittkonstruktion auf deinem Stundenplan erscheinen wird. Wenn du zum Beispiel während der Modenschau-Projekttage einen Entwurf für dein erstes Rockmodell erstellst, benötigst du zuerst einen Grundschnitt, der sich aus deinen individuellen Körpermaßen zusammensetzt. Daraus wird schließlich der Schnitt deines eigenen Rockes, in Form eines Modellschnittes, abgewandelt. Das Konstruieren und Abwandeln von Grundschnitten ist ein wesentlicher Bestandteil dieses Faches. Ein Maßschneiderbetrieb, der für seine Kunden ausschließlich Kleidung fertigt, unter die theoretisch noch aufblasbare Rettungswesten passen würden, wird sich nicht mal das erste Quartal über Wasser halten können.
Oktober 2016
„Mode vergeht, Stil bleibt.“ - sagte einst Coco Chanel. Was ebenfalls während dieser Ausbildung nie von meiner Seite zu weichen scheint, sind die lästigen, kleinen Fadenzähler. Eine in dunklen Farben gehaltene Blech-Box, deren genaue Abbildungen ich immer wieder verdränge, wird im Laufe der drei Jahre immer wieder durch die Tischreihen gegeben. In ihr, die kleinen, metall-farben Gestelle mit einer integrierten Lupe. Diese werden auf Stoffproben platziert, um ihre genauen Fasereigenschaften zu analysieren. Jedes Mal, wenn ich durch die kleine Lupe schaue und versuche, Schlussfolgerungen zu ziehen, bekomme ich beinahe eine Nackenstarre. Ich komme mir vor wie in einem spärlich eingerichteten Labor, indem das Schweigen herrscht. Wenn einmal im Jahr gelacht wird, geben vom Kaffee strahlend gelb gefärbte Zähne einen interessanten Kontrast zum schneeweißen Laborkittel. Jedoch sind Meinungen und Interessen bekannter Weise verschieden. Wer also Gefallen an Warenkunde gewinnt und sich für das Entstehen von Stoffen und ihren physiologischen Eigenschaften interessiert, für den sind diese Fächer sicher hilfreich, sollte er eines Tages ein Studium in Textiltechnik anstreben. Falls dies jedoch nicht der Fall sein sollte, Augen zu und durch! – Es sei denn, die dunkle Box mit unbekanntem Muster wird mal wieder durch die Reihen gegeben.
Schiaparelli meinte einmal: „Frauen ziehen sich überall auf der Welt gleich an - um andere Frauen zu ärgern.“ Möglicherweise machte sie sich über das vergebliche Streben der Frauen lustig, die versuchen, modebewusst und individuell zugleich zu sein. Designer kreieren den neusten Trend, die Avantgarde führt sie vor und das “Proletariat“ versucht sie nachzueifern. In Form von Serien-und Massenproduktion der allseits bekannten Modeketten. Man nehme billige Materialien aus Kunstfasern, eine Prise vereinfachter Arbeitsschritten und eine große Menge an Werbeaufwand, der vermutlich so teuer wird, dass man bei der Bezahlung der Arbeitskräfte in den Entwicklungsländern wieder einspart. Schon ist man Teil eines großen Wettbewerbs beim Verkauf von günstiger und modischer Bekleidung und der Endverbraucher im Wettbewerb um Individualität, weit hinten. Mit dieser Ausbildung hast du die Möglichkeit ein Stück Individualität zurückzugewinnen und deine ganz persönliche Kleidung zu kreieren.
28. April 2017
Die nun dritte und letzte Modenschau seit Beginn unserer Ausbildung stand kurz bevor. Um etwa 9 Uhr trafen sich die Auszubildenden/-innen aller drei Lehrjahre in einem unserer Theorieräume und es wurde der Ablauf des heutigen Tages besprochen. Nachdem wir die Kleiderständer samt aller genähten Werke in das Gebäude 5 transportiert hatten und jedes Lehrjahr einem Klassenzimmer im oberen Stockwerk zugewiesen bekam, in dem es sich während der Show herrichtete, begann die Generalprobe. Geplant war, die gesamte Show einmal von vorn bis hinten durchzulaufen. Egal, ob man stolperte, weil man auf den nicht fertig gestellten Saum trat oder seinen Einsatz auf der Bühne verpasste. Sie wurde nicht unterbrochen. Unsere einzigen Zuschauer im ganzen Saal: Unsere Lehrer sowie das Team der Technik-AG. Es gab einige Fehler bei den eingeübten Choreographien: Die Musik lief falsch an und teilweise zu früh aus, das richtige Paar Schuhe befand sich noch in der Schneiderwerkstatt, das Team der Technik-AG verstand unsere Anleitungen nicht. Aber heißt es nicht immer, die Generalprobe muss schiefgehen?
Nach dem mehr oder weniger groß empfundenen Schock, befand sich das Mittagessen, ausgerichtet von unserer Hauswirtschaft, bereits auf der Anrichte. Diese sorgten freundlicherweise den gesamten Tag für Proviant, vor-, während-und nach der Show. Nach dem Motto: „Ein voller Bauch beruhigt die Nerven.“ Und für diejenigen, denen das nicht ausreichte, öffnete gegen Abend auch eine Bar, die alkoholische Unterstützung (im reduzierten Promillebereich) anbot. Wie die Show gelaufen ist? - Die Vorkommnisse aus der Generalprobe blieben aus! Ein tolles Erlebnis mit jubelndem Beifall! Wer jedoch mehr erfahren möchte, gibt am besten den Suchbegriff „Modenschau 2017“ auf der Homepage ein.
Röcke, Blusen, Westen, Oberteile, Cocktailkleider, Capes, Blazer, Mäntel, Abend-und Ballkleider. Inzwischen habe ich alles einmal genäht. Welch ein Arbeitsaufwand jedoch hinter jedem der einzelnen Stücke steckt, kann man nur erfahren, wenn man diese Ausbildung macht. In den drei Jahren lernt man bereits Einiges! Wer jedoch glaubt, nach der Ausbildung eigenständig in der Lage zu sein, jedes Kleidungsstück zu fertigen, dass er entwirft, liegt vermutlich falsch. Für die Vielfalt der Mode ist dies lediglich der Anfang. Und wie es auch in den meisten anderen Berufsfeldern der Fall ist, gilt auch in dieser Ausbildung: Übung macht den Meister!
Diese Ausbildung bietet dir die Möglichkeit im späteren Berufsleben Kleidung zu erstellen, abzuändern oder im Verkauf tätig zu sein. Wem das nicht noch nicht genug ist, hat verschiedene Möglichkeiten sich durch Meister-und Fachschulen weiterzubilden. Solltest du noch in Erwägung ziehen, Fachabitur zu machen, gibt es in Gießen und Frankfurt die Möglichkeit die Fachoberschulreife in Textiltechnik & Bekleidung anzustreben. Wer studieren möchte, dem dient diese Ausbildung als ein Türöffner für Studiengängen wie Modedesign, Textiltechnik oder dem Berufsschullehramt für Textil-und Bekleidungstechnik.
Viel Erfolg wüscht dir Teresa Koch!